von Monique Wilson, Philippinen, Koordinatoren von 1 Billion Rising
Wir erhalten täglich Berichte von Vergewaltigungen, oft schreckliche Geschichten. Vor diesem Hintergrund hatte ich irgendwann begonnen, den Männern für alles Schlechte, das passiert, die Schuld zu geben. Doch dann habe ich die Herzen und die Güte von Männern entdeckt. Seitdem weiß ich, dass wir viel aktiver auch Männer in unsere Bewegung einladen müssen. Heute haben wir tatsächlich viel mehr Männer in der Bewegung als früher. Sobald sie merkten, dass wir sie wirklich einladen wollten, sagten sie: „Natürlich lieben wir unsere Mütter, unsere Frauen, unsere Töchter, und natürlich wollen wir sie schützen und unterstützen.“
Schon lange wollten wir das Thema der Gewalt gegen Mutter Erde und die Natur in unsere Frauenbewegung einbeziehen. Aber viele Frauen sagten: „Wir müssen zuerst das Thema der Vergewaltigung lösen, dann können wir auch weitere Arbeitsgebiete aufgreifen.“ Heute erkennen wir aber mehr und mehr den Zusammenhang zwischen beiden Bereichen – zwischen der Heilung von Mutter Erde und der Heilung der Sexualität.
Sexualität ist ein Frauenrecht. Es ist das Recht einer Frau, Lust und Freude zu erleben. Es ist das Recht einer Frau, in ihrem Körper frei zu sein, ohne Angst vor Verfolgung oder Verletzung. Es ist das Recht einer Frau, sich sexuell zu zeigen. Und das geht noch weiter: Wir alle wissen, dass Sexualität eine essenzielle Lebenskraft ist.
Frauen haben viel zu lange mit einem viel zu kleinen Selbstbild gelebt. Sie mussten von klein auf lernen, sich zu schämen, sich zu verschleiern, ihren Körper an äußere Normen anzupassen – also nicht zu viel zu essen, nach außen immer freundlich zu lächeln, ihre Wut zu unterdrücken. Über die Jahrhunderte haben wir diese Lehre verinnerlicht. Wir haben sie in all unseren Kulturen und politischen Institutionen aufgenommen. Aber wir sehen heute eine neue Entwicklung in den Frauenbewegungen: Wir Frauen beginnen, eine tief in uns liegende Erinnerung an eine Vergangenheit wachzurufen, in der wir unser sexuelles Wesen frei zeigen durften.
In der traditionellen, indigenen Kultur der Philippinen gab es weibliche Schamanen und Führerinnen, die Babaylan genannt wurden. Eine Babaylan war eine Priesterin, aber auch eine Kriegerin, Heilerin, Erzieherin und Künstlerin. Ihr könnt euch vorstellen, wie die Babaylan gegen die spanischen Kolonisatoren Widerstand leisteten. Um das Land erobern zu können, begannen die Kolonisatoren, den Ruf der Babaylan zu zerstören, sie zu verfolgen und zu töten. Das war die Hexenjagd, die in unseren Breiten geschehen ist.
Heute müssen wir Frauen nicht nur für unsere öffentlichen Rechte kämpfen, wir müssen auch darum kämpfen, einen Zugang zu unseren Erinnerungen zu finden. Denn die Kraft einer Babaylan ist als Erinnerung noch immer in unseren Körpern erhalten. Wir können uns an die Kraft erinnern, mit der wir heilen, lehren, erschaffen und führen konnten. Diese Erinnerung taucht heute auch in vielen anderen Kulturen wieder auf. Ein großer Teil davon ist die sexuelle Lebenskraft in uns. Ich glaube nicht, dass wir Erfolg haben werden, ohne unsere Sexualität zu heilen. Wenn wir unsere Sexualität – aufgrund der vielen Verletzungen – weiterhin im Dunkeln verbergen, wird sie keinen Platz und keine Anerkennung in der Gesellschaft und in der Welt finden. Deswegen müssen wir als Erstes an der Befreiung und Bejahung unserer Sexualität arbeiten.
Wir können unseren Kampf für die Umwelt und die Erde nicht von dem Kampf für die Befreiung der Sexualität trennen. Wenn wir die Erde als einen Körper betrachten, was sind dann Fracking, Bohrungen oder Bergbau anderes als eine Vergewaltigung unserer Erde? Frauen werden auf die gleiche aggressive Weise vergewaltigt und verletzt. Sie werden mit der gleichen Respektlosigkeit behandelt. Das System beherrscht und kontrolliert die Frauen in gleichem Maß, wie es die Erde beherrscht. Ich denke, die Befreiung und Emanzipation von uns Frauen wird zu einer Auferstehung unserer Sexualität führen. Und diese Auferstehung ist ein großer Teil des Heiligen, das wir verteidigen müssen.
Wie sähe die Welt aus, wenn Frauen in dieser Kraft leben würden, wenn ihnen ihre sexuellen Lebenskräfte nicht mehr vorenthalten würden? Wenn wir unsere Sexualität verstehen, wenn wir verstehen, was daran heilig ist, dann wird das in unsere Aktionen einfließen. Wenn wir die volle Lebensenergie bei uns haben, können wir uns mit unseren Körpern viel kraftvoller schützend vor die Natur stellen, die von Öl- und Bergbau-Konzernen zerstört werden soll. Wenn wir wissen, was in uns heilig ist, dann können wir verteidigen, was in der Welt heilig ist. Dafür liegt noch einiges an Arbeit vor uns. Sie hat viel damit zu tun, sich wieder Lust und Lebensfreude anzueignen.
Als Schauspielerin und Sängerin brachte Monique Wilson vor über 20 Jahren in vielen asiatischen Ländern die „Vagina Monologues“ von Eve Ensler auf die Bühne. Durch diese Erfahrung wurde sie zur Aktivistin für Frauenrechte. Seit sieben Jahren ist sie globale Koordinatorin von „One Billion Rising“, einer Frauenbewegung, die Millionen Menschen in mehr als 200 Ländern in künstlerischen Tanz-Flashmobs gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen zusammenbringt – und zunehmend auch für den Schutz von Mutter Erde selbst.
Das Patriarchat hat Frauen das Paradigma des Kapitalismus übergestülpt und sie gelehrt, miteinander zu konkurrieren. Wir Frauen müssen das erkennen und uns wieder zusammenschließen.
Nach 20 Jahren Erfahrung als Aktivistin sehe ich, dass das Patriarchat vor allem zwei Dinge getan hat: Erstens hat es den Mann seinem Herzen entfremdet. Es hat sozusagen seine Tränen in Gewehrkugeln verwandelt. Die große Aufgabe für Männer ist es daher heute, sich wieder mit ihrem Herzen zu verbinden, damit sie Mitgefühl und Liebe empfinden können.
Zweitens hat es die ursprüngliche Einheit der Frauen gespalten. So wie es Nationen und Kulturen spaltete, so hat es auch Frauen gegeneinander aufgebracht. Es hat Frauen das Paradigma des Kapitalismus übergestülpt und sie gelehrt, miteinander zu konkurrieren. Wir Frauen müssen das erkennen. Anstatt untereinander zu konkurrieren und uns gegenseitig zu verurteilen, müssen wir uns wieder zusammenschließen. Die Überwindung der Trennung kann schmerzhaft sein, weil wir darüber nachdenken müssen, was uns ursprünglich getrennt hat. Manchmal waren das sehr persönliche Dinge wie Eifersucht oder die Angst davor, nicht gehört zu werden.
In unserer Bewegung „One Billion Rising“ erlebe ich die große solidarische Kraft von Frauen. Wir unterstützen uns gegenseitig. Wenn eine Frau unter uns aufersteht, ist es die Auferstehung von uns allen. Wenn eine Frau unter uns sich befreien kann, dann ist es die Befreiung von uns allen. Aber außerhalb unserer Bewegung sehen wir immer noch, wie sehr Frauen voneinander getrennt leben. Die bestehenden politischen Systeme brauchen diese Spaltung, um den Status quo ihrer Macht aufrechtzuerhalten. Solange wir Frauen uns nicht vereinigen, ist das System viel stärker. Wir brauchen deshalb die Solidarität unter Frauen.
Als Schauspielerin und Sängerin brachte Monique Wilson vor über 20 Jahren in vielen asiatischen Ländern die „Vagina Monologues“ von Eve Ensler auf die Bühne. Durch diese Erfahrung wurde sie zur Aktivistin für Frauenrechte. Seit zehn Jahren ist sie globale Koordinatorin von „One Billion Rising“, einer Frauenbewegung, die Millionen Menschen in mehr als 200 Ländern in künstlerischen Tanz-Flashmobs gegen die Gewalt an Frauen und Mädchen zusammenbringt – und zunehmend auch für den Schutz von Mutter Erde selbst.
Der Beitrag stammt aus dem Buch: Defend the Sacred – Wenn das Leben siegt, wird es keine Verlierer geben
Liebe Monique und die Frauen, es ist sehr erfreulich daß ihr Euch auf den Weg macht. Die Arbeit in Odemira beeindruckt mich sehr. Das macht Gänsehaut. Ich habe selbst auch mal künstlerisch im Gefängnis gearbeitet (mit Männern) und kenne die Herausforderungen.
Wenn du schreibst Sexualität ist ein Frauenrecht – fühle ich mich als Mann aber doch ausgegrenzt. In einer gut erinnerbaren Inkarnation im Mittelalter war ich eine Frau die aufgrund frei gelebter Sexualität von der Inquisition umgebracht wurde. Ich kann also auch heute die erlebten Frauen in mir zu Zeugen anrufen. Mit meinem weiblichen und männlichen Herz fühle ich mich gut verbunden. Haben also nicht alle Menschen ein Recht (nicht im justitiarischen aber im allgemein Menschlichen) auf Berührung, erfüllten Eros und Sexualität ? Einklagbar ist nur das Recht, frei von Gewalt, Vergewaltigung oder – für die Erde gesprochen – gewaltsamen Eingriffen zu bleiben. Das Recht freie Sexualität zu leben kann nur gemeinsam errungen werden. Wie wäre es, Feste zu entwickeln und zu feiern wo diese wieder zwischen Frauen und Männern spielerisch, einander achtend und in gegenseitiger Hingabe gelebt werden kann ?
danke, von ganzem herzen ?
ahey !
Ihr Lieben!
Sicherlich ist es richtig zu sagen dass die Männer ihre Tränen in Gewehrkugeln verwandelt haben, sie haben sie auch in Atombomben und 5G Masten und all den anderen Unfug verwandelt. Die Aufgabe ist, sich wieder mit dem Herzen zu verbinden. Nur welchen Weg gibt es dafür? Sonst bleibt das nur ein Appell. Damit sie sich wieder verbinden können mit ihrem Gefühl und mit der Schöpfung brauchen Männer eine Frau. Ich habe das erfahren als ich in einem schamanischen Ritual eine Schoßraumübertragung erlebt habe. Das war bisher eine meiner intensivsten Erfahrungen auf dem Weg der Wiederverbindung mit der Schöpfung. Vielleicht können Männer das auch, indem sie sich auf ihre weiblichen Anteile fokussieren, das würde aber auch bedeuten, dass sie die Verantwortung für das männliche und weibliche Prinzip übernehmen. Das ist sicherlich möglich, solange die Frauen mit ihrer Wiederverbindung mit der Schöpfung und der Erde und untereinander beschäftigt sind. Es wird aber nicht allzu viele Männer geben die das schaffen, und so ist es notwendig das Frauen, die bereits wieder verbunden sind, wieder ihre Verantwortung übernehmen. Solange werden viele Männer weiter Krieg anzetteln und 5G Masten bauen.
Dazu gibt’s den die Weisheit der Cherokee Natives: “Die höchste Berufung einer Frau ist, einen Mann zu seiner Seele zu führen, damit er sich mit der Quelle verbinden kann. Die höchste Berufung eines Mannes ist, eine Frau zu beschützen, damit sie frei ist, unverletzt auf der Erde zu wandeln”.
Herzliche Grüße
Matthias