Von Heini Staudinger
Video-Portrait Heini Staudinger
Unsere Firma wurde als selbstverwaltete Waldviertler Schuhwerkstatt gegründet, irgendwann ist sie an mir hängen geblieben, und jetzt sind wir dabei, sie Schritt für Schritt in eine Genossenschaft umzuwandeln. Als Firma leben wir ökonomisch in einem Widerspruch. Mit unserem Fleiß und der erfolgreichen Firma unterstützen wir einerseits das System, andererseits haben wir das Verlangen, dieses System zu überwinden. Wir können diesen Widerspruch nicht auflösen, aber wir wollen das Beste daraus machen. Immer mehr Menschen fühlen, dass das System so nicht überleben kann. Es ist notwendig, es zu verändern. Selbst mächtige Manager suchen heute nach einem neuen Weg in der Ökonomie.
Der amerikanische Historiker und Aktivist Howard Zinn hat einmal gesagt: „Unser Problem ist nicht der zivile Ungehorsam. Unser Problem ist der zivile Gehorsam. Unser Problem ist, dass unzählige Menschen aus aller Welt den Diktaten ihrer Regierungen gehorcht haben und in den Krieg gezogen sind. Millionen sind auf Grund dieses Gehorsams ermordet worden. Unser Problem ist, dass Menschen aus aller Welt angesichts von Armut, Hunger und Grausamkeit, Dummheit und Krieg immer noch gehorchen.“
Unser gesellschaftliches Hauptproblem ist – das glaube ich ganz im Ernst –, dass wir zu wenig aus unserer Sehnsucht heraus machen. Wir sind Teil einer schweigenden Masse, die das alles erlaubt. Die Angst ist unser Hauptthema. Sie hindert uns daran, unsere Stimme zu erheben. Deswegen steht in der Bibel so häufig der Satz: „Fürchtet euch nicht!“ Dieser Satz ist einer unserer Firmengrundsätze. Alle glauben, irgendwelchen Sachzwängen folgen zu müssen anstatt der Sehnsucht. Darum sieht die Welt so aus, wie sie aussieht.
Es gehört zu meinen Lieblingszielen, eine kraftvolle Kommunikation aufzubauen. Bisher geben wir ein Werbeheft heraus, das GEA-Album, mit einer Auflage von fast zwei Millionen Exemplaren. Darin kombinieren wir geistige Inhalte mit der Präsentation unserer Produkte. Dann geben wir viermal jährlich die Zeitschrift Brennstoff heraus in einer Auflage von 200.000. Und jetzt sind wir gerade dabei, eine Online-Zeitschrift, den Brennstoff.com, aufzubauen. Unser Ziel ist, dass wir in der Internet-Kommunikation stärker werden als die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs). Solche Organisationen sind nämlich in der Lage, die Stimmung und Gedanken in unserem Land ganz wesentlich zu beeinflussen. Sie peitschen mit Erfolg das Hass-Thema auf. Wir alle wissen, wie sehr Menschen zu allen möglichen Blödsinnigkeiten verführt werden können.
Aber ich weiß auch, dass sich die meisten Menschen in der Tiefe ihrer Herzen eigentlich für das Gute einsetzen wollen. Die Friedensseite unserer Gesellschaft muss eine ähnlich starke Kommunikation aufbauen, die das Gute im Menschen wachruft und dieser Seite Flügel verleiht. Ich weiß, dass dafür alles Geld vorhanden wäre.
Ich habe gelernt, dass ich mich spirituell, in meinem Geist, von Geld nicht mehr abhängig machen darf. Ich spare heute kein Geld mehr; ich horte es nicht auf der Bank und unterstütze nicht länger, dass die Bank damit Schlimmes finanzieren kann. Ich habe alles Geld, das ich besitze, hier in meiner Tasche in einer Plastiktüte. Die zeige ich gern, wenn ich Vorträge halte, denn sie ist transparent. Viele Menschen wollen mithelfen, dass mit ihrem Geld gute und sinnvolle Projekte aufgebaut werden können. Wenn sie merken, dass das Geld wirklich lebensbejahend investiert wird und nicht heimlich in die eigene Tasche geht, dann geben sie es gern.
Es gibt große und schwere Aufgaben, die vor uns liegen. Ich glaube nicht an das Ende der Arbeit. Es gibt mehr als genug Arbeit für alle. Zum Beispiel müssen wir in den nächsten Jahren Millionen Quadratkilometer unserer Erde aufforsten. Das ist ein Gebot der Stunde. Bäume helfen uns beim Atmen. Die Energiewende muss uns gelingen. Dafür brauchen wir die Jugend. In immer mehr Ländern ist die Jugend arbeitslos. Die Botschaft der Erwachsenenwelt an sie ist: „Wir brauchen euch nicht.“ Diese Botschaft ist eine Gemeinheit und außerdem ein Schwachsinn. Denn wir brauchen die jungen Menschen. Wir brauchen die klügsten und einsatzfreudigsten Menschen, um das Match für die Seite des Lebens zu gewinnen.
Ich weiß nicht, wie hoch unsere Chancen sind, diesen Wettlauf zu gewinnen. Aber ich glaube, dass es sich trotzdem lohnt, so zu handeln, als könnte es uns gelingen, die Welt zu retten und geschwisterlich miteinander umzugehen. Wenn wir angesichts dessen, was gerade auf der Erde geschieht, nichts tun, laufen wir Gefahr, dem Zynismus zu verfallen.
Ich habe im Januar 2012 einen Brief von der Finanzmarktaufsicht Österreichs (FMA) erhalten, in dem stand, dass ich illegale Bankgeschäfte betreibe und dafür mit einer hohen Geldstrafe rechnen müsse. Ich hatte meine Firma mit Hilfe eines „Crowdfunding“ durch private Darlehen ausgebaut, weil mir die Banken trotz guter Bonität keine Kredite mehr geben wollten. Einmal hatte ich einen Bankdirektor nach seinen Gründen gefragt. Da hat er nur gelacht und gesagt, er sei mir keine Auskunft schuldig. Das hat mich wahnsinnig wütend gemacht.
Ich habe mich bis dahin als unbescholtenen Bürger betrachtet, der sich bemüht, seine Arbeit gut zu machen und für andere Arbeitsplätze zu erhalten. Wir wurden dann vor Gericht geladen und erlebten eine schreckliche Verhandlung. Man hat mit uns gesprochen, als seien wir Verbrecher. Das habe ich anschließend überall erzählt und gemerkt, dass die Stimmung in unserem Land im Grunde auf meiner Seite ist. Das war eine große Erleichterung für mich. Es gibt ein Recht, das steht nicht im Gesetzbuch, sondern im Herzen der Menschen.
Ich habe den Beamten gesagt: „Ich bin kein Betrüger, bin kein Verbrecher, ich brauche keinen Anwalt, ich kann selbst zu dem stehen, was ich getan habe, und außerdem lasse ich mir von euch das Modell der Waldviertler Schuhwerkstatt nicht zerschlagen. So, wie es uns geht, geht es Zehntausenden von kleinen und mittleren Betrieben.“
Nach einiger Zeit erschien ein Fernsehbeitrag über unseren Streit mit der Finanzbehörde. Der endete mit den Worten: Eines ist klar – Strafe wird der Heini Staudinger ganz sicher nicht zahlen. Mit diesem Signal der Aufsässigkeit begannen sich die Medien auf uns zu stürzen. Wir wurden über Nacht berühmt. Die Volksstimmung war jetzt spürbar auf unserer Seite. Durch diese Öffentlichkeit wurde auch unsere Firma bekannt, und unser Geschäft lief viel besser. Der Ungehorsam hat sich also sogar geschäftlich gelohnt. Heute haben wir eine Warteliste von vielen Menschen, die uns Darlehen geben wollen, um unsere Firma weiter aufzubauen. Im Moment brauchen wir das gar nicht.
Mit diesen Privatdarlehen ist der Ausweg gefunden. Aber ich wusste: Ich werde nicht ruhen und rasten, bis dieser Ausweg ein Weg für alle wird, denn wenn alle Systeme wanken – das Finanzsystem, das System der Altersversorgung, das Bildungssystem, das Gesundheitswesen –, dann brauchen wir immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft, die die Sache verantwortlich in die eigene Hand nehmen können.
Ich glaube, die Volksstimmung hat schließlich den Ausschlag dafür gegeben, dass es heute in Österreich ein neues Gesetz gibt, das alternative Finanzierungsgesetz. Dieses Gesetz besagt, dass alles, was uns verboten war, jetzt allen erlaubt ist. Jetzt sind wir auf den Geschmack gekommen, denn es gibt noch viele Gesetze, die verändert werden müssen.
Ich möchte noch eine andere Erfahrung erwähnen. Mit 19 Jahren fuhr ich mit einem Freund mit dem Moped durch Afrika. Dort haben wir eine völlig andere Lebensweise kennengelernt. Jeden Tag kamen wir in den Genuss einer Gastfreundschaft, von der wir hier in Europa nur träumen können. Überall, wo es Essen gab, bekamen wir genug zu essen, immer waren wir an Orten eingeladen, wo wir sicher übernachten konnten. So wurden die Afrikaner meine wichtigsten Lehrer. Ihnen habe ich die wertvollste Erkenntnis meines Lebens zu verdanken, nämlich: Es gibt im Leben nichts Wichtigeres als das Leben. Nicht das Geld, nicht das Auto, nicht Haus oder Karriere – nein: Das Wichtigste im Leben ist das Leben.
Heini Staudinger ist Unternehmer und Rebell, der einen Weg gefunden hat, seine Geschäftstätigkeit zu verbinden mit einer tiefen Anteilnahme am Schicksal anderer. Er studierte zunächst Medizin, gründete 1980 ein Schuhgeschäft in Wien, welches sich zu dem unkonventionell geführten Unternehmen GEA/Waldviertler entwickelte mit Filialen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Der Text ist aus dem Buch Defend the Sacred
Ja, sehr schön. Freue mich auf ihn im Sommercamp.
Georg
Christa ich danke dir von Herzen für deine Arbeit und die wunderbaren Botschaften von anderen Riesen und Rebellen die du an uns weitergibst! Es ist wichtig zu spüren wie viele schon anders denken und handeln. Mich hat einmal mehr berührt was es heißt nicht aus Angst zu handeln und das es sich lohnt Ungehorsam zu sein! Ungehorsam dem was uns von außen vorgegeben wird und Ungehorsam auch den Stimmen der Muster in unserem Kopf.
Endlich wachen wir auf, aus unserer Kollektiv-Hypnose! Es gibt vielleicht erst ein paar Vorreiter, wie Heini Staudinger, aber es werden sicher mehr und mehr. Und wir brauchen sehr, sehr viele Menschen, die erkennen, dass wir eine Stimme haben und handeln können. Vielleicht meint der ein- oder andere: ” So schlimm ist doch alles gar nicht.” Aber ich finde, es ist noch viel schlimmer. Wir waren eingelullt in unseren Kokon- jetzt ist es Zeit zu schlüpfen, unsere Flügel auszubreiten und die Botschaft verbreiten: Ja, wir wollen etwas ändern, nicht mehr über uns bestimmen lassen. Und dafür braucht es eine Portion Mut zum Eigensinn.